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Neues aus der Fußgängerzone

Die Fastenzeit hat auch im Jazz begonnen: Die Reduzierung auf eine Trompete und einen Bass hat Till Brönner und Dieter Ilg gut getan. Der optische Minimalismus dieser Fußgängerzonenbesetzung war zu sehen und zu hören in der Bremer „Glocke“.

 

Das allererste Album der beiden herausragenden Instrumentalisten als Duo nach rund 20 Jahren des gemeinsamen Musizierens befreite den Auftritt von allen Nebensächlichkeiten. „Nightfall“ ist das Konzentrat der Wertschätzung und Freundschaft. Und würde man die Zeit der Soli im Konzert messen, es würde wohl halbe-halbe ausgehen.

 

Im Laufe der Jahrzehnte haben sie immer wieder eigene Positionen im gemeinsamen Klangraum gefunden, aus denen sie ihre Schnittpunkte ableiten konnten. Dass Blech und Holz nunmehr in selten zuvor gehörter Weise zusammenkamen, dokumentiert, dass Brönner und Ilg als gute Freunde auf einer Wellenlänge kommunizieren.

 

Dieses Duo bietet maximale Verlässlichkeit. Mit ihrem Spiel und Tun  erreichen die beiden den Gelegenheitsjazzfreund ebenso wie dessen weibliche Begleitung. Und dass der deutsche Startrompeter charmant plaudert und blendend aussieht, kann man ihm nicht vorwerfen.

 

Brönner kokettierte mit seiner Abneigung gegenüber Musicals im Andrew-Lloyd-Webber-Stil, mit hustenden Besuchern, seinem „Hausfrauen-Portugiesisch“ in Joao Donatos „Café com påo“ und allerlei heiterem Gedöns. So auch bei der ihm häufig gestellten Frage: „Till, wann spielst Du mal wieder mit einer Big Band?“ – worauf Brönner mit dem Finger auf Dieter Ilg zeigte, und sagte: „Das tue ich doch!“

 

Die Elektro-Pioniere Kraftwerk kündeten einst von der „Mensch-Maschine“ – der stoische Südbadener Ilg ist der „Mensch-Bass“. Und dass ein Kerl wie ein Baum seine breiten Finger in bewundernswerter Weise gleichermaßen flink wie filigran immer wieder aus den Saiten herauslösen kann, ist allein schon das Eintrittsgeld wert.

 

Der Jazzstandard „Body & Soul“, Will.i.ams „Scream & Shout“, „Nobody else but me“ aus dem Musical „Showboat“, „The Fifth of Beethoven“ oder die Improvisation bei „Nightfall“ – das neue Album bietet eine  derart große Bandbreite, die nicht funktionieren könnte, stünde die Klasse der Musiker nicht außerhalb der Genre-Grenzen. Wenn Brönner das Dach deckt, legt Ilg das Fundament. Die beiden Könner haben jedes Stück entkernt und mit neuen, eigenen Elementen nachhaltig zusammengebaut.

 

Über das gebundene Spiel hinaus gelingt es ihnen, Geschichten zu erzählen. Aus dem unerschöpflichen Reservoir an musikalischen Ausdrucksmitteln und Vorlagen schöpfend, wirkt jedes Geräusch wie ein Kleinstkunstwerk – von Brönners Vokal-Beatboxen bis zu Ilgs rutschendem Finger auf dem Basskörper oder dem Schlagen auf dem Griffbrett.

 

So ein Selbstreinigungsprozess kann helfen. Das Publikum jedenfalls war sehr zufrieden. Den anderen sei gesagt: Dem Fasten folgt in der Regel neue Opulenz. 

 

anbeat.com/oli

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