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On the road again

Wäre den Beatles vor fast genau 50 Jahren etwas Besseres eingefallen, als ihr neues Album nach dem Aufnahmestudio an der „Abbey Road“ zu benennen und fürs Coverbild die Straße von links nach rechts queren, London hätte täglich einen kleinen Verkehrsstau weniger. 

 

Der Fahrer des Linienbusses 189 mit Endstation Marble Arch bremst ordnungsgemäß und legt die Unterarme für die Pause aufs Lenkrad. Er weiß, dass sein außerplanmäßiger Halt schon mal eine knappe Minute dauern kann. Vor dem roten Doppeldecker betreten Fußgänger den berühmtesten Zebrastreifen der Welt und posieren für ein Erinnerungsfoto in Schrittformation. Schuld daran sind die Beatles. 

 

Die Szenerie im noblen Stadtteil St. John’s Wood wirkt wie eine ewige Filmkulisse. Es hat sich nur wenig verändert, seit George Harrison, Paul McCartney, Ringo Starr und John Lennon am Morgen des 8. August 1969 über die Straße marschierten. Die Markierungen sind zeitgemäßer, es gibt inzwischen eine Bushaltestelle und eine Radspur. Zudem wurden auf dem Gehweg schwarz-weiß-gestreifte Poller aufgestellt, die mit ihrem gelben Ball wie überdimensionierte Lollys aussehen. Ansonsten scheint die Zeit stehengeblieben, zumal der benachbarte Shop des Studios die Erinnerung an die „Fab Four“, aber auch dort aufnehmende Bands wie Pink Floyd und Deep Purple, wachhält.

 

 

 

Mit ihrer revolutionären Cover-Ideen hatte die Band ab 1965 Maßstäbe gesetzt: das psychedelisch verzerrte Foto von „Rubber Soul“, die Illustration des Hamburger Musiker-Freundes Klaus Voormann zu „Revolver“, die vom britischen Pop-Art-Künstler Peter Blake inszenierte, opulente „Sgt. Pepper’s“-Collage und das dazu konträre schneeweiße Doppelalbum „The Beatles“ aus der Konzeption des Documenta-Teilnehmers Richard Hamilton verpflichteten. 

 

Die Idee für das Titelfoto zu „Abbey Road“ war in jeder Beziehung naheliegend. In der Endphase ihrer über achtjährigen, unglaublich erfolgreichen Zusammenarbeit waren die Auflösungserscheinungen der Band sichtbar. Nach dem desaströs anmutenden Miteinander während der Arbeiten am „White Album“ und an „Let it be“ seit 1968 rauften sich die vier Musiker im folgenden Sommer noch einmal zusammen. 

 

Deshalb standen die Beatles bereits um 10 Uhr morgens auf der Matte, genauer gesagt, am Straßenrand, obwohl Studio 2 für Aufnahmen am neuen Album erst für nachmittags gebucht war. Zur Verblüffung der Büro- und Studio-Mitarbeiter, darunter der junge Toningenieur Alan Parsons, und Fußgänger an der damals wenig befahrenen Abbey Road packte Fotograf Iain Macmillan seine Ausrüstung aus und stellte eine Trittleiter in die Mitte der Straße. 

 

 

  

 

Paul McCartney hatte seine Idee skizziert, und kurze Zeit später gingen die Beatles über den Zebrastreifen hin und her. Sechs Aufnahmen machte der Fotograf, den John Lennon durch Yoko Onos Galeriearbeit kennenlernte, das fünfte Motiv wurde schließlich für das Cover verwendet. Alles in allem lief die Aktion wenig spektakulär ab, der Aufwand war überschaubar, die Fotoaufnahmen nach einer halben Stunden erledigt - hätte Paul McCartney nicht die Schuhe ausgezogen. 

 

Heutzutage wäre das Thema dank sozialer Medien wäre das Titelfoto schnell diskutiert und das Thema wohl genauso schnell beerdigt gewesen. Doch vor 50 Jahren sorgte das Coverbild unter einigen Fans für einen Schock. Paul ist tot - und hier sind die Beweise. Man muss sich dazu das Foto genauer ansehen. 

 

Die Beatles werden als Trauerzug interpretiert: Lennon ist der Priester und läuft voraus, Starr der Sargträger, McCartney der Verstorbene und Harrison in Arbeitskleidung der Totengräber. Lennon trägt Weiß, die Trauerfarbe in östlichen Ländern, Starr trägt Schwarz, die Trauerfarbe in westlichen Ländern. Obwohl McCartney Linkshänder ist, hält er eine Zigarette in der rechten Hand, was auf einen Doppelgänger - vielleicht William Campbell, dem Sieger des Paul-Ähnlichkeit-Wettbewerbs der Plattenfirma EMI - hinweisen könnte. Er ist außerdem der einzige, der nicht im Gleichschritt mit den anderen Beatles geht und im Gegensatz zu ihnen keine weiße Stelle des Zebrastreifens berührt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abbey Road - B-Seite!

 

Die Gerüchte, Paul sei schon an einem nebligen Novembermorgen im Jahr 1966 bei einem Autounfall bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, erhielten damals neue Nahrung. Und es hätten alle Verschwörungstheoretiker recht gehabt, und das Kennzeichen des am linken Straßenrand geparkten VW Käfers auf dem Cover - „LMW 28 IF“ (also 28 Jahre alt, wenn er nicht gestorben wäre) - wäre ebenso eine versteckte Botschaft für Pauls frühen Tod gewesen.

 

Bekanntlich war alles ganz anders und das Album „Abbey Road“ wurde zum letzten, kreativ überbordenden Meisterwerk, das die atemberaubenden Rocksongs „Come together“ und „I want you (She’s so heavy“), die wundervollen Balladen „Something“ und „Here comes the sun“ sowie das spannende Medley aus Versatzstücken auf der zweiten LP-Seite. Standesgemäß verabschieden sich die Beatles mit Ringos 15-sekündigem Schlagzeugsolo, und sie ziehen Bilanz mit der Zeile: „And in the end the love you take is equal to the love you make.“

 

Seit knapp 50 Jahren gibt es die Beatles nicht mehr, dennoch haben sie mit ihrer genialen Musik alle Strömungen und Moden mühelos überstanden. Mit dem „Abbey Road“-Cover haben sie den nachfolgenden Generationen sogar eine Pilgerstätte hinterlassen. Und das hat in London jeder Busfahrer im Hinterkopf, wenn er mal wieder (außer-)planmäßig zum Halten kommt. 

 

Text/Fotos: oli/anBeat.com

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