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Dampfmaschine am Bluesbahnhof

Etzhorn (in Oldenburg) hat einen brandneuen Bluesbahnhof. Wie anders sollte man einen Ort nennen, an dem die schwere Zugmaschine des Boogie Woogie Halt macht. Axel Zwingenberger, Europas herausragender Pianist in diesem Genre, bescherte seinem Publikum einen bemerkenswerten Abend.

 

Dass der über drei Stunden währende Aufenthalt für die rund 200 Zuhörer zu einem überaus kurzweiligen Vergnügen wurde, lag auch am bestens aufgelegten Pianisten Henning Pertiet, der der Dampflokomotive Zwingenberger mal als Tender folgte, mal selbst als treibende Kraft wirkte und die Führung übernahm. Der Verdener Blues-Musiker war nie Anhängsel, sondern brachte einen eigenen Charakter aufs Gleis.

 

Axel Zwingenberger ist seit über 40 Jahren als exzellenter Klavierspieler bekannt und geschätzt, berühmt seit seinem wunderbaren Album „Boogie Woogie Jubilee“ mit dem legendären Blues-Sänger Big Joe Turner aus dem Jahr 1981. Der Aufenthalt an der Wiege der Blues-Musik in den USA war für ihn prägend. Es folgte ein Album mit dem großen Bandleader Lionel Hampton. Danach widmete sich Zwingenberger verstärkt der europäischen Szene. Er selbst gilt längst als Idol und Mentor. Regelmäßig tritt er mit Bruder Torsten, einem Jazz- und Blues-Schlagzeuger, auf. Im Jahr 2009 gegründeten „ABC&D Boogie Woogie Quartet“ fand er eine weitere musikalische Spielart: mit A wie Axel und C wie Charlie Watts, der Drummer der Rolling Stones, dessen große Leidenschaft der Jazz ist. Bis 2012 spielte diese Formation 80 Konzerte.

 

In den späten Achtzigern fand der 1965 geborene Henning Pertiet, Neffe des 2017 viel zu früh verstorbenen Pianisten Gottfried Böttger, zur Blues-Musik. „1989 bekam ich von einem Freund ein Album von Axel Zwingenberger geschenkt.“ Für den ambitionierten Musiker war es der Urknall. „Dieser Klang war für mich neu und anders. Danach wollte ich sofort spielen wie er.“  

 

Auf Empfehlung seines Mentors stieß Pertiet 1993 auf die Mojo Blues Band aus Wien, wurde fester Teil dieser Formation und tourte vier Jahre durch Europa. Längst hat Pertiet die Spur des reinen Boogie Woogie verlassen und nutzt seither jede Weiche, um auch Nebenstrecken abzufahren.

 

Es fällt schwer, von dieser bemerkenswerten Konzertreise die schönsten Haltstationen zu nennen. Bleibenden Eindruck hinterließ „Lingony Ext“, Pertiets Kollaboration mit dem überirdischen Thelonious Monk, die nacheinander Ohr, Kopf und Seele des Hörers erreichte. „Mein ganzes Leben in ein paar Minuten“, skizzierte er dieses musikalische Kleinod.

 

Zwingenberger wiederum hatte mit dem Blues-Stück „Long Lost Love“ und dem „Madhattan Boogie“ tief gehende Momente. Einmal unter Dampf gestellt, war die Mensch gewordene Lokomotive der schwersten Blues-Baureihe kaum noch zu stoppen. Glücklich konnten sich die Mitreisenden schätzen, die erst nach über drei Stunden am Zielbahnhof aussteigen mussten.

 

Text, Foto und Video: oli/anBeat.com

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