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Gebechert wird in jedem Fall

Joe Jerkins mag Freunden gepflegter Fernseh-Unterhaltung bekannt sein, ein Gesicht wird man nicht damit verbinden. Hinter diesem Pseudonym verbirgt sich Herbert Jarczyk, der das Titelstück zur Krimiserie "Der Kommissar" komponierte. In den sechziger Jahren tummelten sich viele bekannte Musiker der Zeit in diesem Genre: Martin Böttcher ("Spur 211", "Winnetou"), Peter Thomas ("Raumpatrouille"), Erwin Halletz ("Stahlnetz"), Heinz Funk ("Die toten Augen von London") und Heribert Thusek ("Von Null Uhr eins bis Mitternacht"). Inhaltlich stilbildend - und ein wunderbares Abbild der Zeit - ist aber "Der Kommissar", der erstmals vor 50 Jahren ermittelte. Eine Würdigung.

 

„Ermordet sagen Sie?

Manfred, so hör doch, sie haben Dr. Steiner ermordet.“

 

Sätze für die Ewigkeit. Dazu eine Welt in Schwarz und Weiß, vernebelt von Zigarettenrauch, und Charaktere, vernebelt von Alkohol und Drogen. Das ist – zugegeben stark reduziert – die Krimireihe „Der Kommissar“, die am 3. Januar 1969 mit der Episode „Toter Herr im Regen“ erstmals im ZDF ausgestrahlt wurde und seither in den öffentlich-rechtlichen Seitenkanälen mehrfach wiederholt wurde.

 

Seit nunmehr 50 Jahren sind die Anhänger fasziniert von dieser wort- und kon­trastreichen Serie, in der die Täter weniger in wilden Verfolgungsjagden zur Strecke gebracht wurden, sondern sich mehr im Labyrinth von Mordmotiv, Alibi und Verhör verstrickten und am Ende brav gestanden. Jüngere Zeitgenossen sind dagegen eher verstört aufgrund fehlender Farbe, lähmenden Tempos sowie zahlloser Menschen mit seltsamen Angewohnheiten.

 

 

 

 „Sag mal, Proschitz, wo war Kerk gestern Abend?“

„Kerk war bei Kurusch“

 

 Zwischen 1969 und 1976 wurden 97 Mordgeschichten (für Netflix-Konsumenten: in einer einzigen Staffel!) erzählt von Menschen, die Proschitz und Kurusch hießen, aber auch Kabisch, Basseck und Tolke, und die verdächtig waren – oder von Beginn an unverdächtig, weil tot.

 

Die Ermittler bildeten ein festes Team: Kommissar Herbert Keller (gespielt von Erik Ode), die Inspektoren Walter Grabert (Günther Schramm) und Robert Heines (Reinhard Glemnitz) sowie Fritz Wepper als Kriminalhauptmeister Harry Klein (bis Folge 71, als er in der fiktionalen Serie von seinem realen Bruder Elmar alias Kriminalhauptmeister Erwin Klein ersetzt wurde). Fritz Wepper wechselte bekanntermaßen ins Farbfernsehen zu „Oberinspektor Derrick“, für den er nicht nur den Wagen holte, sondern bis 1998 auch 281 Fälle löste.

 

 

Die Bücher wurden von Herbert Reinecker geschrieben und von Helmut Ringelmann umgesetzt. Die auf 35-mm-Film produzierte Serie wurde vom 3. Januar 1969 bis 30. Januar 1976 erstmals im ZDF ausgestrahlt. Die Dreharbeiten begannen im Frühjahr 1968. Die erste Folge „Das Messer im Geldschrank“ wurde im ZDF als zweite ausgestrahlt.

 

Bemerkenswert ist, dass Kommissar Keller seinen ersten Fall vom Krankenbett aus löste – heute würde dagegen die Berufsgenossenschaft einschreiten. Und obwohl das ZDF bereits 1967 das Farbfernsehen eingeführt hatte, wurde die Serie bis zuletzt – im Stile des „Film noir“ – in Schwarzweiß produziert.

 

 „Dass Sie man nur das Schwein finden, Herr Kommissar.

Meine Frau sagt, sie traut sich auch nicht mehr alleine in den Wald.

Was sind das nur für Menschen?

Ungeheuer sind das – richtige Ungeheuer.“

 

 Bemerkenswert ist auch die hohe Akzeptanz bei prominenten Künstlern. Bei den von Regisseuren wie Wolfgang Staudte und Zbyněk Brynych mit experimentierfreudiger Kamera inszenierten Episoden ist das Zeitkolorit ein interessanter Aspekt. Viele soziale Brennpunkte jener Zeit werden angesprochen, wie Generationenkonflikt und aufkommender Drogenkonsum. Auch der Wandel der Jugendkultur (Hippies, Beatschuppen, Gammler) wurde in der Serie reflektiert.

 

Die Titelmusik zum „Kommissar“ stammt von Herbert Jarczyk, dem bekannten polnischstämmigen Filmkomponisten, der bereits Ende 1968 starb und den Ruhm der Serie nicht mehr erlebte. Peter Thomas, berühmt durch die Musik zur anderen Kultserie „Raumpatrouille“, aber auch die deutsche Avantgarde-Band Can (Folge 49) sowie die Les Humphries Singers (Folge 60) trugen ihren Stil bei.

 

Bei der Rolle der Frau endete die Aufklärung allerdings nach den 26 Folgen mit dem Verschwinden von Kriminalassistentin Helga Lauer. Von da an füllte nur noch Fräulein Rehbein („Rehbeinchen“) die entstandene Lücke mit klassischen Vorzimmeraufgaben sowie dem Bereitstellen von Getränken, Schnittchen und Würstchen.

 

 

 

Schnaps ist Schnaps und Dienst ist Dienst – und Dienst ist Schnaps. Die Aufklärungsquote des ermittelnden Quartetts um Kommissar Keller lag bei 100 Prozent, Grund genug, um regelmäßig und gedankenlos nach Dienst ordentlich zu bechern.

 

Die sehr detailreiche Fanseite im Internet listet unter „kommissar-keller.de“ die Anzahl der konsumierten Getränke auf. Man wundert sich aus heutiger Distanz, wie die Ermittler trotz ständiger Bedröhnung in der Lage waren, den Täter zu überführen. Durchschnittlich neunmal wurde pro Folge das Glas gehoben. In Episode 19 mit dem Titel „In letzter Minute“ gab es rekordverdächtige 27 Drinks, die aus Bier, Whisky und Schnaps bestanden. Selbst später überführte Mörder waren zuvor perfekte Gastgeber. Ein „Danke nein, wir sind im Dienst“ ist von den Polizisten nicht zu hören.

 

Nahezu alle namhaften Schauspieler der alten Bundesrepublik waren damals vertreten: Curd Jürgens, Peter van Eyck, Marianne Hoppe, Götz George, Helmut Käutner, Dieter Borsche, Peter Pasetti, Boy Gobert, Lilli Palmer, Christine Kaufmann, Martin Held, Bernhard Wicki, um nur einige zu nennen.

 

Die Kriminalpolizisten ermittelten bei ganz einfachen Leuten in teilweise unwürdigen Behausungen und im Villenviertel bei München. Arme, Reiche – der Mörder konnte überall sein, wie auch das Opfer mal ein feiner Herr und mal ein Tippelbruder war. Die Hippie-Szene spielte häufig eine Rolle, dazu die Musik der 70er Jahre, das alles macht die Serie auch heute noch so interessant.

 

Am 30. Januar 1976 ging der Kommissar dann in den Ruhestand. Untypisch nüchtern quittierte Erik Ode alias Herbert Keller damals den Dienst:

 

„Danke euch für alles.“

 

 

 

Text: oli/anBeat

Fotos: ZDF

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