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Schießen sie nicht auf den Cellisten

 

Celloträger schlägt man nicht: Matthias Deutschmann versteht politisches Kabarett seit über 30 Jahren als argumentativen Nahkampf. Mit seinen schärfsten Waffen Verstand und Rhetorik gelingt es ihm immer wieder, die Feinde von Demokratie und gutem Geschmack auf Distanz zu halten. Oliver Schulz hat mit ihm gesprochen.

 

Als Sie 1986 erstmals auf der Bühne standen, nannte Franz Josef Strauß die AKW-Demonstranten „wandernde Bürgerkriegsarmeen“, US-Präsident Reagan ließ Tripolis bombardieren, und die Saatkrähe wurde Vogel des Jahres. Waren die Zeiten damals nur anders schlimm?

 

Mein Programm trug den Titel „Eine Schnauze voll Deutschland“. Nach dem Tschernobyl-Gau wehte ein apokalyptischer Wind. Der deutsche Wald lag im Sterben. Da passte die Krähe als Todesbote gut ins Bild. Ich befürchte, dass wir morgen über Erderwärmung nicht so entspannt reden wie heute über das Waldsterben.

 

Ihr letzter Tweet stammt von März 2018. Haben Sie vor den Twitter-Profipopulisten Trump, Weidel und Lindner kapituliert?

 

Ich habe Twitter an mir getestet und etwas früher als Robert Habeck beschlossen, die Finger davon zu lassen. Das Internet bietet faszinierende Möglichkeiten, aber die sozialen Netzwerke sind die offene Form der geschlossenen Anstalt. Der Internetpionier Jaron Lanier hat recht. Nix wie raus da!

 

Funktioniert politisches Kabarett heutzutage noch außerhalb abgedunkelter Hallen vor akademischem Publikum jenseits der Sechzig?

 

Meinen Sie bei helllichtem Tag auf der Kölner Domplatte? Da hat Kabarett noch nie funktioniert. Das Publikum sitzt im Dunkeln, und auf der Bühne ist es hell. Das hat Tradition. Und was das Durchschnittsalter des Publikums angeht, so sehe ich wenig Sinn darin, Marktforschung zu betreiben. Ich biete politisches Kabarett an. Wer Interesse hat, kommt.

 

In einer Art Erblast wird jungen Menschen Desinteresse an Politik nachgesagt. Wie erleben sie die Generationen XYZ?

 

Es sind eher seltene Gäste in meinem Programm. Aber wenn sie kommen, dann bleiben sie. Jede Generation erfährt ihre politischen Prägungen. Ich kann 20-Jährige, die sich nicht als Zwangs-Enkel der 68er sehen, gut verstehen. Das Desinteresse an der Politik ist möglicherweise eine Folge genau dieser Politik. Bundespräsident Steinmeier hat vor der Lust am Untergang gewarnt. Aber im Fernsehen läuft „Babylon Berlin“ – und welche andere Lust, als die am Untergang, könnte die SPD denn noch vermitteln?

 

Die AfD hat sich Ende 2017 im Reichstag eingenistet. Wie haben Sie deren erstes Parlamentsjahr beobachtet?

 

Intensiv! Es ist sehr unterhaltsam. Der SPD-Abgeordnete Kahrs schreit die AfD an: „Schauen Sie mal in den Spiegel – Hass macht hässlich!“ Und was macht die AfD? Rennt geschlossen auf die Toilette, um nachzusehen. Nach der dreifachen Groko ist die Debattenkultur in Deutschland leider arg heruntergekommen. Es wird keinen Erfolg haben, die AfD mit der Fascho-Keule zu traktieren und auf den Misthaufen der Geschichte zu wünschen. Das ersetzt nicht argumentativen Nahkampf.

 

Ihr besonderer Blick gilt seit jeher der SPD. Haben Sie noch Hoffnung für die ehemals stolze Volkspartei?

 

Der SPD-Chefdenker Peter Glotz hat seinerzeit um Nachsicht mit der SPD gebeten und seine Partei mit einem Supertanker verglichen. "Wer das Steuer rumreißt, bricht das Ruder". Die SPD erscheint mir mehr und mehr als Narrenschiff. "Ich habe ein knallrotes Gummiboot", das könnte die neue Parteihymne werden.

 

 

Text: oli/anBeat.com

 

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