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Spielfreude bis zur Unkenntlichkeit

Das soll Jazz gewesen sein? So viele Menschen, die gut gelaunt und bunt gekleidet tanzten und klatschten, die auf dem spektakulären Werftgelände von Blohm und Voss in Hamburg flanierten und neugierig den Musikern zujubelten. Auf dem Etikett stand auch in diesem Jahr wieder „Elbjazz“, und es war – bei genauer Betrachtung – auch viel Jazz darin. 30 000 Menschen tummelten sich an zwei Tagen am großen Strom, und die hatten alles in allem wenig auszusetzen.

 

 

Mit mehr als 50 Konzerten am Freitag und Samstag auf drei Bühnen der Werft sowie weiteren fünf in der Elbphilharmonie, der Katharinen-Kirche und im ausrangierten Schiff „MS Stubnitz“ lässt die Veranstaltung viele verschiedene Spielarten des Jazz zu. Die Bandbreite der Künstler war deshalb enorm: Mit Joja Wendt und Jamie Cullum wurde einem Publikum eine Tür geöffnet, die die Anhänger des Hard-Bop-Veteranen Benny Golson oder Freunde der munteren Hamburger Hip-Hop-Formation Toytoy freiwillig kaum durchschreiten würden. Im „Elbjazz“-Format wird es aber erträglich, weil Musiker und Organisatoren an einem dicken Tau ziehen.

 

 

 

Alles darf gespielt werden, nichts muss gehört werden: Nach diesem Motto ließ sich auf dem Werftgelände prima zwischen den meist einstündigen Konzertakten ein- und – bei Missfallen – wieder auspendeln. Die Auftritte waren bestens getaktet, die Stimmung immer friedlich und heiter. Entsprechend zog Festivalleiter Alexander Schulz eine positive Bilanz: „Wir sind mit dem gesamten Ablauf des Festivals sehr zufrieden. Die Künstlerinnen und Künstler waren gleichermaßen von der einmaligen Festivalatmosphäre, den außergewöhnlichen Spielorten und dem Publikum begeistert.“

 

Im Gegensatz zum Vorjahr, als wegen eines heftigen Unwetters am Freitagabend der Zeitplan durcheinandergeriet und das Konzert von Michael Wollny gar ausfallen musste, waren Temperatur und Stimmung höchst sommerlich. Zum Glück im Unglück holte der vielfach ausgezeichnete Pianist seinen Auftritt im Trio nach und verblüffte mit hoher Improvisationskunst. Julia Hülsmann, als Residenzkünstlerin gleich dreimal im Einsatz, zeigte, dass sie die derzeit vielfältigste Jazzmusikerin im deutschsprachigen Raum ist.

 

 

Neben den großen Namen wie US-Trompeter Randy Brecker können sich auf großer Hamburger Bühne stets unbekanntere Musiker zeigen. Aufgedrängt haben sich diesmal die israelische Formation „Shalosh“ mit klassischem Trio-Jazz, die Soul-Truppe von „J.P. Bimeni & The Black Belts“ sowie „Jungle by NIght“ mit Weltmusikbeats und starkem Bläsersatz.

 

 

 

In der stilistischen Bandbreite fanden auch der Neo-Fusion-Sound des Londoner Trios „Kamaal Williams“ und der Retro-Blues-Rock der Dänen von „Savage Rose“ begeisterte Anhänger. Die Schweizerin Sophie Hunger blieb dagegen mit ihrem minimalistischen Elektrofolk auf der Strecke.

 

Aber das ist doch alles kein Jazz, werden die Traditionalisten meckern. Stimmt vielleicht, aber der Begriff dient beim „Elbjazz“ als stimmungsvolle Klammer, um zu zeigen, dass das Genre, wie so vieles, dem Wandel unterzogen ist. Im Vertrauen darauf haben die Veranstalter den 5. und 6. Juni 2020 als nächsten Termin gesetzt und bieten schon mal Karten im Internet an.

 

Text und Fotos: oli/anbeat.com

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